Politik

EU: Mit dem Aufruf zum „positiven Denken“ beginnt die Diktatur

Lesezeit: 5 min
26.12.2012 03:19
Herman Van Rompuy hatte das Jahr 2012 als Jahr des positiven Denkens ausgerufen. Mit seiner diesjährigen Weihnachtsansprache belegt der EU-Ratspräsident, dass er es ernst meint: Das Schönreden der Krise ist der erste Schritt zum totalitären System. Die EU erwartet, dass sich nicht lästige Kritiker, sondern beglückte Untertanen einem zentralistischen Konzept unterwerfen, das im Kern längst gescheitert ist.
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Vor einem Jahr verschickte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy ein Büchlein an alle Staatschefs der Erde. Unter dem Titel „Die Welt des Glücks“ hatte Van Rompuy Aufsätze von Glücks-Propheten sammeln lassen (mehr dazu hier bei DMN). In diesem Jahr haben sich nach Van Rompuys Auffassung alle guten Vorhersagen erfüllt. Die EU sei in bester Verfassung. Er bedauerte zwar ausdrücklich jene Bürger, die von Arbeitslosigkeit oder „schlechter Kaufkraft“ gebeutelt werden – um den Unglücklichen jedoch dann zuzurufen, dass sie im Dienst einer größeren Sache leiden: Ihre Schmerzen würden sich für die EU lohnen. Denn die EU denkt in größeren Dimensionen: Van Rompuy lobte sich und seine Kampfgefährten für den Empfang des Friedensnobelpreises und verspricht, dass die EU ihre große politische Vision weiter verfolgen werde.

Die EU propagiert das „positive Denken“ als Triebfeder für ihre gedeihliche Entwicklung. Das müssen die Bürger Europas als gefährliche Drohung empfinden: Denn die Kombination aus einer übergeordneten politischen Ideologie und der Verpflichtung zum „positiven Denken“ ist meist der Anfang einer Diktatur: Im Nationalsozialismus wurden jene, die die Lage einigermaßen realistisch eingeschätzt hatten, wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ aus dem Verkehr gezogen. Einer der Gründe des brutalen Antisemitismus im Dritte Reich lag in der Abqualifizierung der Juden als nutzlose Kritiker – sie wurden denunziert, indem man ihnen vorwarf, den neuen Herren die gute Laune verderben zu wollen.

In der Sowjetunion und im übrigen Ostblock wurden Kritiker grundsätzlich als Staatsfeinde diffamiert und verfolgt. Auch religiöse Bewegungen haben es an sich, dass sie von ihren Mitgliedern verlangen, „lieber das Positive“ zu sehen. Missstände, so wird suggeriert, seien die Ausnahme. Wer zu sehr auf ihnen herumreitet, schadet der Gemeinschaft.

In den USA erlebt die über Jahrzehnte gefeierte Massenbewegung der „glücklichen Konsumenten“ gerade ein böses Erwachen: Die Party ist vorüber, und weil immer mehr Amerikaner nicht mehr willens sind, mit dem berühmten „keep smiling“ sich willenlos ihrem unwiderruflichen Absturz in die Armut zu fügen, werden die Bürgerrechte immer drastischer eingeschränkt (mehr hier). Auch in großen Unternehmen kennt man die Methode: Der Kritiker ist ein Störenfried. Das Top-Management will gute Nachrichten und glückliche Gesichter. Die eilfertigen Chargen aus den mittleren Führungsetagen liefern nur noch das, was die Bosse hören wollen.

In der Regel führt die Diffamierung der Kritik zum Zusammenbruch von Institutionen. Denn tatsächlich ist das „positive Denken“ nichts anderes als eine Droge. An ihre gehen jene, die sie unters Volk gebracht haben, am Ende besoffen selbst zu Grunde. Für diese These spricht auch der große Erfolg des Marketings, mit dem das positive Denken verbreitet wird: Bei Amazon finden sich 10.234 Treffer zum Stichwort „positives Denken“. Neben Joseph Murphy haben Heerscharen von Autoren Geld mit der These verdient, dass man sich die Wirklichkeit nach Belieben schönreden kann. Wenn man dagegen „negatives Denken“ eingibt, kommen eine Handvoll Titel – und selbst die lauten dann „Wie man das negative Denken überwindet“. Der Rest sind wieder Schinken über das „positive Denken“. So stark ist die Macht des positiven Denkens - jedenfalls bei den Amazon-Algorithmen.

Das „positive Denken“ zwingt seinen Opfern eine unkritische Weltanschauung auf: Sie sollen darauf abgerichtet werden, optimistisch über alles zu denken und zu sprechen. Sie werden mit dem kaum jemals eingelösten Versprechen des persönlichen „Erfolges“ geködert. Denn die Resultate bleiben meist weit hinter den Erfolgsversprechen zurück. Neue Studien legen sogar nahe, dass das „positive Denken“ nicht nur unwirksam ist, sondern sogar den Misserfolg begünstigt. Der Grund für den Misserfolg des „positiven Denkens“ bestehe darin, so das WSJ, dass der positiv Denkende ganz leicht von seiner eigenen Fixierung auf ein Ziel in die Irre geleitet wird. Diese Fixierung schürt die Angst, das Ziel nicht zu erreichen, und macht die Positiv-Denker blind und unbeweglich, wenn sich die Bedingungen ändern.

Bereits in der antiken Philosophie gab es „negatives Denken“. Wer Angst davor habe, seinen Reichtum zu verlieren, der solle ein paar Tage in Armut leben, empfiehlt der Stoiker Seneca.

Tatsächlich hat das „negative Denken“ vielen Unternehmern erst den Erfolg gebracht. In einer Studie schreibt Saras Sarasvathy: Keiner der von ihm befragten Unternehmer beginnt mit großen Plänen und schreibt ausführliche Business-Pläne. Im ersten Schritt betrachten die Entrepreneure die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel und Fähigkeiten. Im zweiten Schritt werden dann mögliche Ziele untersucht. Und dabei verwenden sie die Strategie des „negativen Denkens“: Sie malen sich die schlimmsten möglichen Konsequenzen einer Geschäftsentscheidung aus. Erst wenn sie diese Vorstellung für erträglich halten, wagen sie den nächsten Schritt. „Negatives Denken“ führt nicht nur zu einem erfolgreicheren Leben, sondern auch zu Wohlstand, resümiert Sarasvathy seiner Untersuchungen. „Alternativlos“ ist jedenfalls noch keiner zum Erfolg gekommen.

Das „positive Denken“ eines Herman Van Rompuy wird besonders gefährlich in Kombination mit einer politischen Utopie. Denn die EU-Zentralisten wollen das „positive Denken“ in Europa erzwingen. Sie tun das – noch – nicht mit einer geheimen Staatspolizei. Aber ihre Informationspolitik zeigt ganz klar, wohin die Reise geht: Die unglaublich selbstgefälligen Bilder von Barroso, Schulz und Van Rompuy bei der Verleihung des Friedensnobelpreises sind sichtbarer Beleg für diese Geisteshaltung (Dokumentation - hier). Und die Methode, die angewandt wird, ist subtil: Wer nicht für uns ist, bekommt von uns keine Informationen.

Der ARD-Korrespondent in Brüssel, der gerade eben einen Journalistenpreis für seine Arbeit bekommen hat, hat für die erfolgreiche EU-Gehirnwäsche unfreiwillig einen eindrucksvollen Beleg geliefert: Rolf-Dieter Krause sagte in einem Interview, dass er persönlich den Euro für das größte Unglück Europas halte. Dass er am Schirm dann doch immer recht neutral agiere, begründete Krause damit, dass er zu unterscheiden wisse, wann er persönlich eine Meinung zu vertreten haben und welche Ausgewogenheit er seinem Sender schulde.

Krause zählt allerdings noch zu denjenigen, die sich ihren kritischen Geist bewahrt haben. Viele andere Berichterstatter haben sich dem Diktat von Brüssel unterworfen, weil sie gar keine andere Wahl zu haben glauben: Sie bekommen immer nur vorgefertigte Positionen, kommen kaum an Dokumente und wollen es sich mit den Gesprächspartnern nicht verscherzen. So sind die meisten Medien Teil der großen Inszenierung für das „positive Denken“ geworden.

Und die Rezipienten wollen vermutlich auch nichts anderes hören. Der Publizist Henryk Broder hielt bei einer privaten Weihnachtsfeier eine aufrüttelnde Rede (im Wortlaut - hier) über die Verkommenheit der EU. Die 200 Zuhörer aus dem Berliner Establishment reagierten überwiegend feindlich auf die im Grunde sehr präzisen Vorhaltungen Broders: Bei einer Weihnachtsfeier wolle man positive Worte hören, und die Fundamentalkritik Broders sei der falsche Weg, um die doch so gute Sache EU voranzubringen. Herman Van Rompuys Jahr des „positiven Denkens“ hat also schon Wurzeln geschlagen in den Köpfen der deutschen Eliten, die im Grunde dankbar sind, wenn jemand ihnen das Denken abnimmt.

Was Van Rompuy und seine Genossen planen, ist, dass das „positive Denken“ in den Köpfen der Europa zu einer Art Delirium gefriert. Wer sich nicht einordnet, wird zum Außenseiter. Dass die Außenseiter mit ihrem „negativen Denken“ vielleicht der Wahrheit auf der Spur sind und dass das Gegenteil vom propagierten „positiven Denken“ die kritische Analyse und in letzter Konsequenz die Zerstörung eines nicht funktionierenden politischen Konzepts sein könnte, das wissen die Ideologen von Brüssel ganz genau. Ihre Furcht vor dem großen Knall treibt sie selbst immer weiter an: Ihr Ziel ist es, das System so lange zu erhalten, wie es ihnen selbst nutzt. Sie wissen auch, dass sie ihrer persönlichen Verantwortung nur im immer dichteren Nebel des „positiven Denkens“ entkommen können. Das „böse Erwachen“ wollen sie den anderen überlassen.

Das Erwachen hat indes bereits begonnen: Im neuesten Euro-Barometer sind die Werte für die Glaubwürdigkeit der EU-Institutionen auf einem Tiefpunkt angelangt. Unterboten werden die schlechten Noten nur noch von der Geringschätzung für die jeweils eigenen Regierungen und Parlamente in den Nationalstaaten. Solche Fakten kommen freilich in der Weihnachtsansprache von Herman Van Rompuy nicht vor. Wenn er den Europäern ein erfolgreiches Neues Jahr wünscht, kann er eigentlich nur sich selbst meinen und hoffen, dass sich am Ende doch noch irgendwo ein Rettungsschirm findet, unter dem er und seine Helfer den geordneten Rückzug antreten können.


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